Wenn Nähe gefährlich ist

Helene Mensdorf, Schwester Alexa und Margarethe Mahs (v.l.n.r.)

Die Diakonie-Sozialstation Zörbig mit besonderen Hygiene- und Verhaltensregeln: Pflege ist die intimste Dienstleistung: In Corona-Zeiten ist sie gefährlich geworden. Angehörige und Pflegekräfte müssen flexibel und verantwortungsbewusst reagieren. Nähe mit Distanz – geht das überhaupt?

Ein Ehepaar, Mitte 80, muss in zweiwöchige Quarantäne, weil beim Sohn eine Infektion mit dem Coronavirus nachgewiesen ist. „Eine echte Herausforderung, denn der Mann und die Frau aus dem Kreis Zörbig sind altersbedingt bewegungseingeschränkt“, sagt Katja Schneider, Pflegedienstleiterin der Diakonie-Sozialstation in Zörbig. Und die kümmert sich um das Paar: Morgens und abends Grundpflege für den Mann, Hilfe im Haushalt und Betreuung. Jeden Tag zwei Stunden lang. „Das Ehepaar hat bei uns zu Beginn seiner Quarantäne die körpernahe Pflege abgesagt, weil es uns nicht anstecken wollte“, sagt Katja Schneider. „Da ließ es sich auch nicht umstimmen. So blieb uns nur der telefonische Kontakt. Wir haben für die beiden eingekauft, die bestellten Waren des täglichen Bedarfs und die Medikamente auf ihren Hof gestellt.“ Eine Mitarbeiterin aus der Sozialstation, die im Ort wohnt, ist dort öfter vorbeigelaufen – alle drei haben sich zugewunken. Inzwischen ist die Quarantäne beendet, das Paar wird wie gehabt von Kolleginnen der ambulanten Pflege versorgt und betreut.

Ein Beispiel, das Pflegedienstleiterin Katja Schneider erzählt. Im Moment ist eigentlich nur Abstand Ausdruck von Fürsorge. Aber in der Pflege ist das nicht wirklich möglich. Wenn Kolleginnen vom Außendienst Hausbesuche machen, wie sollen sie dann zum Beispiel Verbände wechseln oder Blutdruck messen – ganz ohne Berührung? Zuneigung, ein wenig Zärtlichkeit und menschliche Nähe sind Pflegeinstrumente im Umgang mit Senioren.

Die Sozialstation Zörbig der DIAKONIE Soziale Dienste gGmbH umfasst einen ambulanten Pflegedienst für die Region, mit Angeboten zur der häuslichen Krankenpflege, einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst und hauswirtschaftliche Versorgung bis hin zur Sterbebegleitung, einer Tagespflege und Seniorenbegegnungsstätte. Aber Corona-Zeit ist Ausnahmezustand. Da gelten besondere Hygiene- und Verhaltensregeln, in der Pflege sowieso ein sensibles Thema. Jetzt ist Schutzbekleidung das A und O: Einwegkittel, Mund-Nasen-Maske und Einweghandschuhe. „Nach jedem Einsatz werden die Dienstwagen gereinigt und desinfiziert, die Gemeinschaftsräume und häufig genutzte Gegenstände alle zwei Stunden. Klar, ständig desinfizieren wir uns die Hände. Für die Mitarbeitenden gibt es eine Maskenpflicht.“ Drückt das auf die Stimmung der Sozialstation Zörbig? „Nein, die Krise schweißt zusammen“, so Katja Schneider. Jeder sei sich seiner besonderen Verantwortung in der extremen Situation bewusst. „Das Team ist in sich geschlossen, hält zusammen.“ Katja Schneider beschreibt ihre Mitarbeitenden als einsatzbereit, lieb und freundlich. Wie immer. Der Krankenstand sei gering. „Jede von uns gibt alles, wenn gleich auch wir Ängste und Sorgen haben.“ Nein, so etwas wie jetzt hat hier noch niemand erlebt. Und ja, Patienten und Klienten wissen das Engagement der Sozialstation Zörbig zu schätzen. Nicht selten überraschen sie Mitarbeitende mit Kaffee oder Kuchen. Kleine Gesten, die mehr als große Worte sagen.

Hier in der Tagespflege ist Notbetreuung angesagt. Schwester Alexa, Fachkraft in der Tagespflege, sitzt in einem Gemeinschaftsraum mit Helene Mensdorf, 86, Margarethe Mahs, 94, und Anneliese Zschoche, 88, an einem Tisch. Es wird gebastelt. „Am liebsten habe ich Gemeinschaft“, so Helene Mensdorf. Mann und Sohn sind tot, eine Tochter ist krank, die andere lebt in Thüringen. „Wir müssen es hinnehmen, wie es ist.“ Sagt‘s und schneidet aus Pappe eine Blume aus. Margarete Mahs bedauert es, dass es jetzt keine Ausflüge nach Delitzsch und in die Goitzsche gibt. Ihr Sohn und ihre Tochter leben nicht mehr. „Hier ist es doch schön!“ Anneliese Zschoche ist stark gehbehindert. Stolz erzählt sie, dass sie früher Fuhrunternehmerin gewesen sei. Und dass es hier wie in einer Familie sei. Denn Familie fehlt ihr zu Hause. „Die Wochenenden sind grausam, Einsamkeit ist schlimm“, sagt sie. Und Corona... „Ich danke meinem Herrgott, dass ich trotzdem herkommen darf.“

Bild 1 (Foto: Dana Micke)
Bildunterschrift: Notbetreuung in der Tagespflege: Helene Mensdorf (l.), 86, und Margarethe Mahs (r.), 94, sind mit ihren Deko-Arbeiten beschäftigt. Schwester Alexa, Fachkraft in der Tagespflege, erzählt derweil, was hier alles gemeinsam gemacht wird: Zweites Frühstück, basteln, rätseln, spielen, Mittagessen – und wenn Corona gebannt ist, soll es auch wieder Ausflüge in die Umgebung geben.

Bild 2 (Foto: Dana Micke)
Bildunterschrift: Die 88-jährige Anneliese Zschoche streckt fürs Foto die Hand mit den in der Tagespflege-Notbetreuung gebastelten Papierblumen aus. Ein symbolischer Gruß von Herzen. „Ich danke meinem Herrgott, dass ich trotzdem herkommen darf.“